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Wendel (oder Wendling bzw. Wendelin Grapp, genannt:) Dietterlin (* 1550 oder 1551, Pfullendorf/Bodensee; + um 1599) Der bei Philipp Memberger in Konstanz als Maler ausgebildete Wendel Dietterlin hatte sich um 1570 in Straßburg niedergelassen, wo er Gemälde größten Formates auf Fassaden und Decken ausführte und dadurch bald auch außerhalb der Stadt zu Ansehen gelangte: Von seinen wohl umfangreichsten, 1590 bis 1593 entstandenen Arbeiten im Neuen Lusthaus zu Stuttgart sind nur Vorzeichnungen geblieben, die Dietterlin als bedeutenden, an Michelangelo erinnernden Künstler zeigen, der sich kaum an ikonographische Konventionen hielt. In seinen letzten Lebensjahren beschäftigte sich Dietterlin auf der Grundlage der vergleichsweise „akademischen“ Säulenlehren von Sebastiano Serlio (ab 1537) und Hans Blum (1550) mit ihren kanonisierten Ordnungen „Rustica“, „Dorica“, „Ionica“, „Corinthia“ und „Composita“ eingehend mit architekturtheoretischen Fragen. Angeregt von Hans Vredeman des Vries´ „Architectura“ (1577)(> VREDEMAN DE VRIES), die ihrerseits schon gewagte, sehr von den antiken Idealen eines Vitruv abweichende Ideen vorstellte, zeichnete er seine weit darüber hinausgehenden, phantastischen, kleinteiligen Entwürfe, die er auch selbst in Radierungen von hoher künstlerischer Qualität umsetzte. In den Jahren 1593 und 1594 erschienen erste Teilbände der „Architectura“; das Gesamtwerk mit 209 Tafeln und nur wenigen schriftlichen Erläuterungen wurde jedoch erst 1598 in kleiner Auflage veröffentlicht. Dietterlin zeigte nicht nur „plakativ“ Säulen, Brunnen, Fenster, Portale, Kamine und Epitaphe, deren Architekturdetails von einer Unzahl verschiedenster Ornamente und Lebewesen nahezu überwuchert werden, er versuchte auch, die Ordnungen symbolisch zu deuten: So werden zum einen konkrete Vorlagen für Maler, Architekten und Bildhauer geboten, zum anderen intellektuelle Annäherungen an Antikes und Christliches, Jahreszeiten und Lebensalter, Natur und Kunst innerhalb der Bilderfolgen versucht. Der Einfluß dieses immer als außergewöhnlich betrachteten, für die künstlerische Praxis nur schwer nutzbaren Werkes war nicht allzu groß, doch immerhin bis weit ins 17. Jahrhundert hinein vorhanden und heute noch nachweisbar. In der Bibliothek werden zwei Exemplare aufbewahrt und hier vorgestellt: Die vom Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Verein übernommene, unvollständige „Architectura“ mit lateinischem Titel ist vermutlich die Erstausgabe von 1598, während es sich beim zweiten Exemplar mit deutschem Titel wohl um einen Nachdruck mit den originalen Platten, vielleicht um jenen von 1655, handelt. Literatur:
Architectura, The fantastic engravings of Wendel Dietterlin, A reprint of the 1598 ed. Of his Architectura (Mit einer Einführung von Adolf K. Placzek), New York, 1968. Lechner, Gregor Martin, Theorie der Architektur, Stift Göttweig, Graphisches Kabinett, Jahresausstellung 1975, Katalog, Göttweig, 1975, S. 67. Evers, Bernd, Zimmer, Jürgen, Wendel Dietterlin, in: Architekturtheorie von der Renaissance bis zur Gegenwart, 89 Beiträge zu 117 Traktaten, Köln, u.a., 2003, S. 520-529. Krufft, Hanno-Walter, Geschichte der Architekturtheorie, München, 2004, S. 190-191. Großmann, G. Ulrich, Dietterlin, Wendel, in: Allgemeines Künstlerlexikon (lizenzierter Zugang: www.ub.tuwien.ac.at, 27.7.2010). |