Zwischen Wirklichkeit und Fiktion: Architektur im Buch

Seit über 500 Jahren wird geplante und gebaute Architektur durch illustrierte Bücher vermittelt und erläutert. Die dafür angewandten Visualisierungsprinzipien haben sich bis heute kaum geändert: Noch immer sind Grundrisse, Aufrisse, Schnittzeichnungen, Detailstudien, perspektivische Darstellungen und grandiose Vogelschauansichten vorherrschend, noch immer kann eine wohlausgewogene Kombination geometrischer Konstruktionen und wirklichkeitsgetreuer Abbildungen das Aussehen eines Gebäudes am besten wiedergeben. Grundlegenden Neuerungen waren nur die technischen Methoden der Herstellung von Texten und Tafeln unterworfen. Während in der Gegenwart der automatisierte Computersatz und das Offsetverfahren zum Einsatz kommt und Fotografien leicht reproduziert werden können, war man in der Vergangenheit auf den mechanischen Letterndruck und den Kupferstich angewiesen, mit dessen Hilfe gute Künstler aber auch schon einigermaßen „natürlich“ wirkende Abbildungen geschaffen haben. Die grundsätzliche Schwierigkeit der „Übertragung“ von großen dreidimensionalen Objekten in kleine zweidimensionale Illustrationen wird jedoch nie ganz beseitigt werden können.

Was wird hier gezeigt und woher stammt es?

Im Mittelpunkt dieser virtuellen Fotoausstellung stehen illustrierte Architekturbücher des 16. bis 18. Jahrhunderts. Als großes, übergeordnetes Thema wählten wir Architektur für Adel und Bürgertum sowie dafür entworfene Gartenanlagen und Innenausstattungen, wobei real Gebautes und phantastisch Geplantes gleichermaßen berücksichtigt wurde. Alle 23 gezeigten Werke stammen aus der Bibliothek der Technischen Universität Wien, die gleichzeitig mit dem „k. k. Polytechnischen Institut“ ab 1815 entstand. Zum Unterricht angehender Architekten und Ingenieure wurden immer wieder auch ältere Bücher angekauft oder als Schenkungen übernommen, die sich vor allem in der Epoche des Historismus im 19. Jahrhundert und für baugeschichtliche Vorlesungen im allgemeinen als nützlich erwiesen. Mit der Zeit bildete sich auf diese Weise ein größerer, aber uneinheitlicher Bestand wertvoller Drucke, der hier in der genannten thematischen Auswahl zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt wird.

Bei der Auswahl versuchten wir, auf möglichst große Vielfalt und eine abwechslungsreiche Reihenfolge der Bücher zu achten. Bedeutende und weniger einflußreiche Arbeiten sollten Aufnahme finden; als Kriterium diente oft lediglich die Originalität, die Qualität oder das „Typische“ der schließlich am Scanner reproduzierten Abbildungen. Deshalb stehen neben den „großen Namen“ wie Fischer von Erlach, Palladio oder Vignola auch weniger bekannte Autoren wie Danckerts, Erasmus oder Ruggieri. Zudem beschränkt sich die Ausstellung nicht auf die Gattung der sogenannten „Architekturtraktate“, also auf Lehrbücher unterschiedlichster Ausführlichkeit und Qualität, die einem klassischen, seit Vitruv vorherrschenden Kanon folgen und vor allem Säulenordnungen und mathematisch genau berechenbare Detailkonstruktionen behandeln. Viele Autoren setzten diese oft eher trockenen Ausführungen als „didaktische Notwendigkeit“ zwar an den Beginn ihrer Bücher, ließen dann aber Darstellungen eigener Bauwerke oder Pläne folgen, die in der Regel wesentlich interessanter und künstlerisch wertvoller waren. Neben diesen „Selbstdarstellungen“ und „Werkverzeichnissen“ großer Architekten werden hauptsächlich Drucke gezeigt, die Abbildungen und Beschreibungen von besonderen Gebäuden oder Gebäudegruppen an bestimmten Orten enthalten.

Die 23 präsentierten Bücher sind keinen thematischen Bereichen zugeordnet, da dies kaum möglich und sinnvoll erschien: Auch innerhalb einzelner Werke werden meist mehrere Bereiche zugleich abgehandelt. Als einziges, pragmatisches Ordnungsmerkmal dient deshalb die alphabetische Reihenfolge der Namen der Autoren beziehungsweise der Herausgeber.

Wie wurde der Zeitrahmen festgelegt?

Das älteste gezeigte und für unsere Ausstellung geeignete Buch aus dem Besitz der Bibliothek stammt aus dem Jahr 1598. Hier waren wir also ganz an den vorhandenen Bestand gebunden. Als zeitliche Obergrenze wurde – nicht ganz willkürlich - das Jahr 1800 festgelegt: Damals war gemeinsam mit dem Ancien Régime und der Allmacht der Kirchen auch das Rokoko als letzter großer, fast alle europäischen Staaten beherrschender Bau- und Kunststil zu Ende gegangen. Die klassischen, von den Säulenordnungen dominierten Architekturformen hatten sich teilweise überlebt und wurden erst wieder mit dem Historismus, dann aber vor dem Hintergrund neuer Gesellschaftsklassen, Gebäudetypen und Bautechniken interessanter. (Lehrbehelfe in der Art traditioneller Säulenordnungsbücher erschienen übrigens noch bis um 1910 in großer Zahl!) Auch der Kupferstich als meistverwendetes Illustrationsverfahren in Architekturbüchern wurde nach 1800 langsam von der Lithographie sowie vom Stahl- und Holzstich abgelöst.

Aus welchen Gründen entstanden derartige Bücher?

Meist waren es bereits etablierte Architekten oder Architekturtheoretiker, die in enger Zusammenarbeit mit Verlegern und Stechern die Möglichkeit nützten, ihre Ideen in Lehrbüchern oder Ansichtenwerken einem breiteren Publikum vorzustellen. Auf eigene Kosten oder mit Hilfe von Förderungen eines Gönners wurden dann auf der Grundlage der vom Autor angefertigten Zeichnungen durch geübte Kupferstecher die Illustrationen hergestellt, die in derartigen Werken fast unverzichtbar waren. Obwohl manche Verleger und Stecher in spekulativer Absicht auch eigenständig dekorative Bilderfolgen veröffentlichten, erforderten solche Unternehmungen stets einen großen technischen Aufwand und bildeten zudem ein schwer abschätzbares finanzielles Abenteuer, weshalb die Herausgabe doch meist in den Händen von Fachleuten lag. Schriften über die Baukunst wurden von Architekten, Kunstliebhabern und Bauherren gleichermaßen geschätzt; sie boten eine Übersicht des Aktuellen und Modernen auf fast allen Gebieten und dienten als Kataloge, Musterbücher und Werkdokumentationen. Die „papierenen Kunstvermittler“ vereinten Bewährtes und Neues, waren Einführungen für Schüler und gaben Anregungen für Meister, beschrieben vorhandene Bauten und wurden wiederum selbst zu Vorlagen für zukünftige Architektur. Neben individuellen Bildungsreisen waren sie für Künstler und Auftraggeber das wichtigste Mittel zur Information über die zeitgenössische Architektur und ihrer Entwicklungen. Falls die Herausgabe eines solchen Werkes nicht rein didaktischen Zwecken dienen sollte, geschah sie meist, um die Arbeiten eines Architekten oder die Bauten eines Fürsten vorzustellen und abzubilden. Großer Beliebtheit erfreuten sich auch kostbar illustrierte Reiseführer zu Baudenkmälern bestimmter Städte und Länder oder Alben, die ausschließlich künstlerisch wohldurchdachte Ansichten von Gebäuden und Plätzen (Veduten) enthielten. Hierbei ist stets zu bedenken, dass Architekturbücher, insbesondere jene mit vielen und qualitativ hochwertigen Kupfertafeln, teure Luxuserzeugnisse darstellten und nur einem kleinen Kreis von wohlhabenden Kennern zur Verfügung standen oder, etwa in Ateliers und Akademien, von vielen Menschen genutzt wurden, bis sie unbrauchbar waren oder man sie in Einzelblätter zerlegte.

Wie sind die Katalogtexte gegliedert?

Um eine bessere Übersichtlichkeit zu gewährleisten, wurden die Beschreibungen auf der Grundlage des folgenden, immer gleichbleibenden Schemas erstellt:

Titel des Buches nach Vorlage (meist stark gekürzt)
Vermerk zur Auflage (eventuell)

Signatur, Standort, Vermerk zur Provenienz (Herkunft) des Buches (eventuell)
Maße: Breite (Tiefe) x Höhe
Einband und dessen Zustand
Kollationierung (genaue Abfolge und Anzahl der Blätter bzw. Seiten und Illustrationen)

Welche Künstler haben die Kupferstiche angefertigt? (eventuell)
Weitere Angaben (eventuell)

Link zum Katalogisat im OPAC der UBTUW
Fallweise Link zum externen Volltext-Scan (wenn ein solcher vorhanden ist)

Bilder

Autor (Lebensdaten mit Geburts- und Sterbeort)

Kurze Beschreibung bzw. Würdigung des Autors, seines Werkes und des Buches (Ein Verweis (> AUTOR) zeigt an, welche anderen, ebenfalls gezeigten Bücher sich auch mit dem hier behandelten Inhalt auseinandergesetzt haben. Auf diese Weise soll eine Vernetzung der einzelnen Werke erzielt werden.)

Verwendete und ausgewählte weiterführende Literatur

Weiteres Wissenswertes

Alle hier behandelten Werke sind urheberrechtlich nicht mehr geschützt und somit „gemeinfrei“, weshalb die Abbildungen unter Angabe der Quelle (URL, Link) von jedermann genutzt werden dürfen!

Hier finden Sie die vollständige Auswahlliste.

Seit dem Frühjahr 2010 werden laufend Bücher aus der ehemaligen Handbibliothek der Architektenfamilie Sitte, die sich seit 1963 als Schenkung am Institut für Städtebau der Technischen Universität Wien befindet, für den Online-Katalog bearbeitet und in den Magazinen der Hauptbibliothek neu aufgestellt. Die erstmals zugänglich gemachten Bestände beinhalten ebenfalls wertvolle Bücher des 16. bis 18. Jahrhunderts aus den Bereichen Architektur und Geometrie, die für unsere Ausstellung jedoch aus zeitlichen Gründen nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Nur zwei für diesen Bestand besonders „typische“ Beispiele wurden in die Auswahlliste aufgenommen.


Exkurs: Drei ausgewählte „Vorbilder“ unserer Präsentation:

1. „Rara – Werte einer Bibliothek“. (Reale und) Virtuelle Ausstellung der Fachbereichsbibliothek Kunstgeschichte der Universitätsbibliothek Wien, ab 2008. Im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft beschäftigten sich Studentinnen und Studenten der Kunstgeschichte intensiv mit seltenen, bisher zu wenig bekannten und teilweise noch nicht im Online-Katalog erfassten Beständen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. http://www.univie.ac.at/rara/RARA/Start.html

2. Salge, Christiane (Hrsg.), „Architekturtraktate im Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis, Beispiele aus der Rara-Sammlung der Kunsthistorischen Bibliothek“ [der Freien Universität Berlin], Katalog zur Ausstellung, Berlin, 2008.
Dieser umfangreiche Ausstellungskatalog entstand auf der Grundlage eines Seminars, das die besonders wertvollen und außergewöhnlich zahlreichen Architekturtraktate des 16. bis 18. Jahrhunderts in der Kunsthistorischen Bibliothek der Freien Universität Berlin zum Inhalt hatte. Studentinnen und Studenten beschrieben die einzelnen Bücher und deren Verfasser im Kontext der europäischen Architekturgeschichte der Renaissance und des Barock.
Leider nicht online verfügbar.

3. Lechner, Gregor Martin (Red.), „Theorie der Architektur – Barocke Architekturtheorie in Stift Göttweig“. Virtuelle Ausstellung des Stiftes Göttweig, ab 2010.
Durch die Präsentation wird zum einen der kostbare Bestand der Göttweiger Bibliothek im repräsentativen thematischen Bereich des architekturtheoretischen Buches veranschaulicht. Zum anderen erlaubt diese Sammlung in ihrer speziellen Zusammensetzung auch einen Einblick in die praktische Nutzung derartiger Schriften durch Auftraggeber und Künstler für die barocke Ausgestaltung des Stiftes.
http://www.gssg.at

Nun wünschen wir Ihnen viel Vergnügen beim virtuellen Rundgang durch die Ausstellung!
Tipp: zum Verkleinern bzw. Vergrößern der angeklickten Bilder drücken Sie die "Strg"-Taste und verwenden das Rollrad Ihrer Maus.