Zwischen Wirklichkeit und Fiktion: Architektur im Buch

PALLADIO, Andrea: I qvattro libri d´architettvra [hier: Zweiter Band:] Il secondo / libro / d´architettvra [...]
In Venetia, / Appresso Dominico de´ / Franceschi. / 1570. [ =Venedig, Pasquali, 1768!]

Signatur: 40.736 III. Standort: Eiserne Kasse. Alter Bestand der Bibliothek.

Maße: 26 x 35 cm.

Pappband des späten 18. Jh. (flexible Interimsbroschur), diese leicht verschmutzt, Bindung gelockert, in marmoriertem Pappschuber des späten 19. Jh.

Vorsatzbl., 324 nicht num. Bl. (durchgehend Textkupfer und Kupfertaf.; 4 Bücher mit eigenen Kupfertit.)

Gescannt am 9.7.2010.
Externes Volltext-Digitalisat der ETH-Bibliothek Zürich: http://www.e-rara.ch/zut/collections/content/titleinfo/103248, 31.5.2010.


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Andrea Palladio (* 8. oder 30. November 1508, Padua; + 19. August 1580, Maser)

Andrea Palladio arbeitete zunächst viele Jahre in seinem erlernten Beruf als Steinmetz und Bildhauer zu Vicenza, ehe er 1536 den Schriftsteller Giangiorgio Trissino kennenlernte und von diesem mit römischer Literatur und humanistischen Ideen vertraut gemacht wurde. Auf insgesamt fünf, zwischen 1541 und 1554 unternommenen Reisen nach Rom studierte Palladio die Schriften von Vitruv und die antike Baukunst. Auf der Grundlage der in Rom gewonnenen Erkenntnisse veröffentlichte der seit etwa 1550 als erfolgreicher Architekt tätige Palladio im Jahr 1554 das als Reiseführer konzipierte Werk „L´antichità di Roma“, seine erste bedeutende Schrift, die bis 1711 noch 22 Auflagen erleben sollte. Für seinen Förderer, den Humanisten und Architekturtheoretiker Daniele Barbaro zeichnete Palladio die Holzschnittvorlagen einer kommentierten, 1556 erschienenen Ausgabe des Vitruv, die 1567 in wesentlich erweiterter Form und mit neuen Holzschnitten nach Palladios Zeichnungen veröffentlicht wurde. In diesen Werken ist bereits so manche Idee der von Palladio eigenständig verfassten und 1570 herausgegebenen „I quattro libri dell´architettura“ vorweggenommen. Palladio, der in Analogie zu Vitruv und Alberti wohl ursprünglich zehn Bücher geplant hatte, tritt im Text seines Traktates mit ebenso großem Selbstbewusstsein auf wie bei dessen Illustrationen, die sehr oft eigene ausgeführte Entwürfe als beispielhafte Bauten präsentieren (> FISCHER VON ERLACH, 1721). Vorbilder wurden zwar der römischen Antike sowie der Architektur eines Bramante, Michelangelo und Sansovino entnommen, jedoch nie pedantisch imitiert, sondern stets schöpferisch und eigenständig für die jeweiligen Bauaufgaben abgewandelt. Das ausgeführte Werk sollte unter Beachtung allgemeiner ästhetischer Prinzipien von Eleganz und harmonischen Proportionen in der Hauptsache den Bedürfnissen seines Auftraggebers entsprechen, wofür Palladio auch häufig die aus dem Studium der Antike entwickelten Regeln ignorierte. Neben den illustrierten Ausgaben von „De architectura decem libri“ des Vitruvius Pollione (z. B. Cesariano, 1521, Barbaro 1556), den sieben Büchern von Sebastiano Serlio (1537 bis 1575) und den „Regola delli cinque ordini d´architettura von Barozzi da Vignola (1562) (> VIGNOLA) beeinflußten die „Quattro libri dell´architettura“ des Andrea Palladio (1570) wohl am nachhaltigsten die europäischen Vorstellungen von der Architektur der Antike und der italienischen Renaissance bis weit ins 18. Jahrhundert hinein. Insbesondere die protestantische und anglikanische Architektur Nordeuropas und Nordamerikas war, nicht zuletzt aufgrund der von Giacomo Leoni vorgenommenen Übersetzung der „Quattro libri“, lange Zeit vom sogenannten Palladianismus geprägt (> LEONI). Berühmt wurde Palladio als ausführender Architekt unter anderem durch die sogenannte „Basilika“ in Vicenza, seine Villen im Veneto wie La Rotonda, La Malcontenta oder Maser sowie durch die Kirchen S. Francesco della Vigna, S. Giorgio Maggiore und Il Redentore in Venedig. Die hier gezeigte Ausgabe der „Quattro libri dell´architettura“ ist bemerkenswert, weil sie vorgibt, aus dem Jahr 1570 zu stammen, in Wirklichkeit aber 1768 vom englischen Konsul und Kunstförderer Joseph Smith beim venezianischen Drucker Pasquali als frühes „Faksimile“ in Auftrag gegeben wurde.

Literatur:

    Forsman, Erik, Palladios Lehrgebäude, Studien über den Zusammenhang zwischen Architektur und Architekturtheorie ..., Stockholm, 1965.
    Lechner, Gregor Martin, Theorie der Architektur, Stift Göttweig, Graphisches Kabinett, Jahresausstellung 1975, Katalog, Göttweig, 1975, S. 30-32.
    Puppi, Lionello, Andrea Palladio, [deutsch:] Stuttgart, 1977.
    Ackerman, James S., Palladio, [deutsch:] Stuttgart, 1980.
    Biermann, Veronica, Grönert, Alexander, Jobst, Christoph, Stewering, Roswitha, Andrea Palladio, in: Architekturtheorie von der Renaissance bis zur Gegenwart, 89 Beiträge zu 117 Traktaten, Köln, u.a., 2003, S. 110-117.
    Krufft, Hanno-Walter, Geschichte der Architekturtheorie, München, 2004, v. a. S. 92-102.
    Beyer, Andreas, Schütte, Ulrich, Andrea Palladio, Die vier Bücher zur Architektur, Nach der Ausgabe Venedig 1570 aus dem Italienischen übertragen, 4. Auflage, Basel, u. a., 2006.
    Fischbacher, Thomas, Andrea Palladio, I qvattro libri dell´architettvra, ..., in: Salge, Christiane, Architekturtraktate im Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis, Beispiele aus der Rara-Sammlung der Kunsthistorischen Bibliothek, Freie Universität Berlin, Katalog (Ausstellungsführer, 46), Berlin, 2008, S. 151-155.
    Willich, H.[?], Palladio, Andrea, in: Allgemeines Künstlerlexikon (lizenzierter Zugang: www.ub.tuwien.ac.at, 30.7.2010).